Ende November vergangenes Jahr bin ich auf einem Stadtblog über einen Terminhinweis gestolpert: Der Verein „Transformatives Denk- und Machwerk“ bietet einen Stadtrundgang zum Thema Suffizienz an. Erstmal habe ich lauter Fragezeichen im Kopf. Den Vereinsnamen finde ich etwas sperrig und das angekündigte Thema ist auch erklärungsbedürftig. Neugierig bin ich trotzdem, denn irgendwie soll es um Nachhaltigkeit und Flensburg als nachhaltige Stadt gehen.
Den Termin selbst kann ich nicht wahrnehmen, aber die Macher*innen dieses Spaziergangs habe dafür gesorgt, dass ihre Idee nicht einfach verpufft: Den Spaziergang gibt es auch online – angelegt auf der Stadtrallye-App Actionbound. Ich lade sie hoch und rufe den Flensburg-Spaziergang auf. Dort wird mir angekündigt, dass ich „anhand von städtischen Räumen die Nachhaltigkeits-Strategie der Suffizienz“ kennenlernen werde. Ich schiebe die nächsten aufploppenden Fragezeichen weg und mache mich mit Mann und Hund im Bus auf den Weg zum Startpunkt.
Suffizienz wird dann auch gleich zu Beginn des Spazierganges erklärt. Dahinter steckt die Idee, weniger zu produzieren und zu konsumieren, also den Energie- und Materialverbrauch zu begrenzen. Zum Beispiel, indem nicht jede*r alles besitzt, sondern viele Menschen Dinge des täglichen Bedarfs miteinander teilen. Eine suffizienzorientierte Stadtentwicklung setzt darauf, Strukturen zu schaffen, die es bequem, einfach und alltagstauglich machen, sich suffizient zu verhalten.
In den folgenden rund eineinhalb Stunden werden wir von der App zu sieben Stationen geführt. Neben zahlreichen Fakten, zum Beispiel zur durchschnittlichen Wohnfläche eines Menschen und der Anzahl der Parks und Kleingartenanlagen in Flensburg, wird unser Blick immer wieder auf den Raum um uns herum gelenkt: Wieviel öffentlicher Raum ist da? Wie wird er genutzt? Außerdem werden wir animiert, selbst Ideen zu entwickeln, wie er im Sinn der Suffizienz noch besser genutzt werden kann.
Anfangs bin ich etwas genervt von den vielen Infos, aber nach und nach merke ich, wie sich mein Blick verändert. Mir wird bewusst, wie sehr ich die vielen kleinen Parkanlagen in Flensburg schätze. Für mich sind das erholsame Orte zum Durchatmen, wenn ich von A nach B unterwegs bin. Und ich merke wieder einmal, wie sehr mich die vielen Autos in der Stadt nerven – nicht nur, weil ich es kaum vermeiden kann, dass sie jedes Foto dominieren. Und das, obwohl wir an einem Sonntag unterwegs sind.
Die vorgestellten Best-Practice-Initiativen kenne ich zwar schon, eingeordnet in einen größeren Zusammenhang lerne ich sie aber gleich noch mehr schätzen. Etwa das aktivitetshuset. In der Einrichtung der dänischen Minderheit kann jede*r nach einer Einführung gut ausgestattete Werkstätten für unterschiedliche Bereiche nutzen. Siebdruck, Holzarbeiten oder Medienproduktionen zum Beispiel. Echt genial!
Mir fallen selbst immer mehr Orte ein, die ich in meiner Stadt mit Nachhaltigkeit verbinde: Die öffentlichen Bücherschränke, die Second-Hand-Läden, die aus Paletten gebauten Aufenthaltsinseln, die hier in den vergangenen Jahren auf ehemaligen Parkflächen entstanden sind. Wie groß die Bedeutung des Individualverkehrs trotzdem ist, wird hörbar, als wir auf dem Spaziergang aufgefordert werden, uns an der Schiffbrücke die Augen zuzuhalten und nur zu hören …
Auf dem Spaziergang geht es auch um mögliche Wohnformen mit gemeinschaftlich genutzten Flächen und die Frage, unter welchen Bedingungen ich selbst bereit wäre, meine private Wohnfläche zu reduzieren. Für mich steht fest: Ich brauche meinen Rückzugsraum, der auch akustisch mir „gehört“. Gemeinsame Funktionsräume wie Werkstätten, eine Küche und auch Aufenthaltsräume kann ich mir aber gut vorstellen. Welche Möglichkeiten bietet unsere aktuelle Wohnsituation da?
Auch die weiteren Themen des Spaziergangs wie die Versorgungsstrukturen mit großen Supermärkten am Stadtrand, die oft am besten mit Autos erreichbar, die Frage nach neuen Konzepten für Innenstädte und nachhaltige Mobilität treiben mich nach dem Spaziergang weiter um.
Wie ist es bei euch in der Stadt? Fallen euch spontan Strukturen ein, die eure Stadt nachhaltig machen?
Wer den Flensburger Spaziergang ausprobieren möchte, findet hier die Infos.
Moin, mit Jahrgang 1972 bin ich die „Seniorin“ in der Neuen Etage und fühle mich in dieser besonderen WG pudelwohl. Geboren in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) habe ich mich schon während meines Zeitungsvolontariats in den Norden verliebt. Nach ein paar Umwegen über Köln, Bamberg, Bayreuth und Oldenburg (Nds.) bin ich 2014 samt Mann und Hund (wieder) in Schleswig-Holstein angekommen. Inzwischen leben wir in Harrislee, einer Gemeinde direkt an der dänischen Grenze und nur einen Katzensprung von Flensburg entfernt. Wenn ich nicht am Schreibtisch sitze, gehe ich am liebsten direkt vor der Haustür zu Fuß auf Entdeckungstouren oder powere mich im Kajak auf der Förde aus.
Herzlich willkommen in der Neuen Etage. Die Aussicht hier oben ist top, alles riecht noch ganz frisch und es gibt regelmäßig etwas Neues zu entdecken.