Es ist das Frühjahr 2020 – ich stehe kurz vor dem Umzug in meine neue Wohnung. Nochmal ganz kurz etwas von A nach B tragen. Ich remple gegen die Kommode im Flur. Es klirrt.
Da ist sie hinüber. Eine meiner Lieblingsvasen. Wasser läuft aus dem zertrümmerten Gefäß über den Boden, Blumen dazwischen. Ich schlucke. Schnell die Scherben einsammeln – zumindest sind es nicht viele. „Das sollte man kleben können.„, denke ich. Hole einen Lappen, wische alles auf, stelle die Vase an einen sicheren Ort. Erstmal muss der Umzug über die Bühne gehen.
Das ist jetzt gute eineinhalb Jahre her. Der zerdepperte Krug wartet noch immer auf seine Reparatur – und ich auf einen Moment, in dem ich die Ruhe finde, um mich diesem Projekt anzunehmen. Porzellan zu kleben ist schließlich nicht so leicht. Immerhin soll man die Klebekanten nicht sehen, es soll wieder perfekt werden – oder?
Oder eben gerade nicht. Auf meiner Suche nach Reparaturanleitungen stolpere ich über eine alte, japanische Technik. „Kintsugi“ heißt sie. Und mit ihr repariert man nicht nur kaputtes – man macht die Makel auch auf eine ästhetische Art und Weise sichtbar. Die Methode geht der Geschichte nach zurück bis Ashikaga Yoshimasa, einem Shōgun des 15. Jahrhunderts. Ihm passierte, was wir alle gut kennen: er zerbrach ein Stück aus Keramik. Weil ihm die chinesische Teeschale jedoch viel bedeutete, lies er sie zur Reparatur in ihr Heimatland schicken. Das Ergebnis der Reparatur enttäusche ihn. Und so beauftragte er japanische Kunsthandwerker die Schale auf eine ästhetische Art und Weise zu reparieren.
Sie entwickelten die Technik. Sie hebt die Makel, die durch den Bruch entstanden sind, hervor, anstatt sie zu verschleiern. Damit kommt dem einst zerbrochenen Objekt eine neue Schönheit zugute. Der Makel ist nunmehr kein Makel mehr, sondern ein ästhetischer Teil der Geschichte des Objektes. Für die Technik nutzen japanische Kintsugi-Meister einen bestimmten Lack, welcher mit Goldpigmenten vermischt wird. Mit diesem werden die Brüche geklebt. Anschließend wird das Werk poliert. Zurück bleiben goldene Adern, die das Porzellan durchziehen.
Ich finde den Gedanken etwas kaputtes durch die Reparatur aufzuwerten wunderschön. Den Makel betonen, ihn in die Geschichte des Stückes einfließen lassen und das Stück im ganzen weiterhin wertzuschätzen. Also recherchiere ich weiter. Die traditionelle Technik ist für uns hier im hohen Norden leider nicht zugänglich, doch es gibt DIY-Sets, die man kaufen kann, mit denen man die traditionelle Technik zuhause nachahmen kann.
Alternativ benötigt man:
Und los geht’s:
Zunächst einmal sollten alle Scherben schmutz- und fettfrei sein. Anschließend kann’s losgehen.
Wichtig ist: vorab überlegen welches Stück zuerst eingesetzt werden muss und langsam Schritt für Schritt arbeiten. Da der Kleber extrem schnell aushärtet, muss dieser für jede Scherbe erneut angerührt werden.
Und das geht so: eine kleine Menge des Klebers auf eine Pappe geben, etwas Goldpigmente dazugeben und verrühren. Dann nach Anleitung auf der Verpackung benutzen (in meinem Fall: Kleber auf eine Seite auftragen, kurz an der Luft halten, dann ankleben und für einige Minuten festhalten). Den Kleber auf jeden Fall großzügiger auftragen, damit sich die Goldadern später gut abzeichnen.
Dann Stück für Stück einsetzen. Ggf. fehlende Stücke mit der Modelliermasse nachformen, um Lücken zu schließen – so habe ich zum Beispiel den Griff meiner Kanne etwas besser fixiert. Es braucht ein wenig Konzentration und eine ruhige Hand, ansonsten ist das Vorgehen jedoch relativ einfach. Kleine Kleckse des Klebers auf dem Porzellan lassen sich nach Fertigstellung noch entfernen – hier also keine Panik, wenn etwas daneben geht.
Zum Abschluss wird auf den noch leicht weichen Kleber noch etwas von den Goldpigmenten aufgepinselt. Nun muss das Werk erstmal ca. 2 Stunden ruhen. Anschließend kann es dann vorsichtig mit einem Schwamm und etwas mildem Seifenwasser gereinigt werden. Mit etwas feinem Schmirgelpapier kann man überstehenden Kleber oder kleine Flecken entfernen. Ich finde: das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Durch die Reparatur ist der Krug zwar leider nicht mehr für Lebensmittel nutzbar, doch für ein paar Trockenblumen eignet er sich dafür umso besser. Ich bin sehr froh, dass er mir so noch etwas länger erhalten bleibt.
Ich bin Johanna und lebe im schönen Kiel. Ich bin ein in den frühen 90'ern geborenes Nordlicht und finde, dass es kaum einen schöneren Ort zum Leben gibt, als unser Bundesland zwischen den zwei Meeren. Ich liebe es mir an der See den Wind um die Nase pusten zu lassen – und das bei jedem Wetter. Ansonsten schlägt mein Herz für schönes Wohnen. Ich liebe gutes Design und baue auch gern mal das ein oder andere Möbelstück selbst.
Herzlich willkommen in der Neuen Etage. Die Aussicht hier oben ist top, alles riecht noch ganz frisch und es gibt regelmäßig etwas Neues zu entdecken.