Briefe bestehen aus Ort, Datum, Anrede, einleitendem Satz, Brieftext, Schlusssatz, Gruß und Unterschrift. Außerdem sei es sinnvoll, sich den Inhalt eines Briefes vorher zu skizzieren. Diese und weitere Informationen finde ich in Unterrichtsmaterialien für Grundschulen zum Thema „Briefe schreiben“. Klingt einfach, aber auch ein bisschen altmodisch – und reichlich umständlich, oder? Wann habt ihr zuletzt einen persönlichen Brief geschrieben? So richtig meine ich. Also handschriftlich, auf Briefpapier und verschickt mit der Post?
Neulich habe ich wieder einmal einen Brief bekommen. Einen echten. Von einer Freundin, die sogar in derselben Stadt lebt wie ich. Wir hätten uns also auch treffen können. Und natürlich hätte sie auch eine Mail schicken können. Oder eine Textnachricht. Eine Sprachnachricht. Oder gleich anrufen. Aber sie hat einen Brief geschrieben.
Ich habe mich riesig gefreut und wollte mich gleich bedanken. Mailprogramm angeklickt, losgeschrieben… gelöscht. Ne, das wäre unfair. Sie hat sich extra die Zeit genommen für einen Brief. Hat Briefpapier rausgesucht, mit Hand geschrieben, den Brief zum Postkasten gebracht… Schön eigentlich. Und eine ganz andere Wertschätzung als eine schnell geschriebene Mail. Nichts gegen Mails. Auch Mails können liebevoll formuliert und gut durchdacht sein. Ein Brief ist trotzdem ein besonderes Geschenk. Vielleicht auch, weil es selten geworden ist, dass im Briefkasten nicht nur Rechnungen und Werbung liegen.
Seit es die schnelle Kommunikation über Mails und Messengerdienste gibt, fällt es schwer, die Geduld für einen Brief aufzubringen. Und zwar nicht nur die, einen zu schreiben, sich womöglich zu verschreiben und nochmal von vorne anzufangen. Auch die, warten zu müssen, bis ein Brief bei der/dem Empfänger*in ankommt und dann noch einmal, bis er oder sie antworten – das bin ich einfach nicht mehr gewohnt. Wenn ich eine Freundin frage, ob sie morgen Zeit auf einen Kaffee hat, ist ein Brief eben definitiv das falsche Medium. Wofür also ist ein Brief genau richtig? Eine Antwort darauf zu finden, dürfte nicht so schwer sein. Schließlich habe ich eine ganze Kiste mit Briefen. Die meisten sind zehn Jahre und älter – und ganz nebenbei Ausdruck meiner zahlreichen Umzüge. Einige meiner alten Anschriften kenne ich nur noch, weil ich diese Post aufgehoben habe.
Ich schnappe mir ein paar Exemplare und staune: Ich finde tiefe Einblicke in die Gedankenwelt der Briefeschreiber*in, richtige kleine philosophische Abhandlungen. Eine sehr gute Freundin hat in einem ihrer Briefe von „Gedankenspaziergängen“ geschrieben, die wir per Brief zusammen machen. Auch mein Mann hat mich einmal brieflich mit auf eine Reise genommen, eine ganz reale. Er war im Ausland und hat mir in wunderbaren Details von einem seiner Ausflüge erzählt. Dieser Brief ist über sechs Seiten lang – eng beschriebene Seiten. Diese Briefe sind Schätze!
Und da ist noch etwas, was ich an diesen Briefen liebe: Ich kann sie immer wieder vorholen und mich erinnern. Und wer sich die Zeit nimmt, einen Brief zu schreiben, schreibt selten etwas Belangloses. Also ist der Tipp, einen Brief zu skizzieren, bevor man losschreibt, gar nicht so schlecht. Was möchte ich der Empfängerin/dem Empfänger schreiben, was sie oder er dann wie ein Geschenk aus dem Briefumschlag auspacken kann? Auf welche Reise kann ich sie/ihn mitnehmen?
Ich fand die Idee total schön, in einem Brief etwas zu beschreiben, was man gesehen hat und sehr beeindruckend fand. Klar, ein Foto ist schneller verschickt, aber wer etwas beschreibt, verrät damit auch gleich etwas über sich selbst. Oder man schreibt tatsächlich auf, was man an einem einzelnen Tag erlebt hat, nimmt jemanden mit in den eigenen Alltag. Beides funktioniert übrigens auch ganz gut bei Briefen an Menschen, die man noch gar nicht kennt und denen man zum Beispiel über Post mit Herz oder eine andere der zahlreichen Aktionen gegen Einsamkeit in der Coronazeit schreibt. Oder in einem Brief an eine*n neue*n Brieffreund*in.
Das Prinzip der Brieffreundschaften kenne ich noch aus dem Fremdsprachenunterricht in meiner Schulzeit: Französisch oder Englisch lernen per Brieffreundschaft. Bei mir hat das nicht so recht funktioniert. Das spannendste an der Sache war für mich damals das extra leichte Luftpost-Briefpapier… Wer Lust auf eine Brieffreundschaft hat, findet aber auch heute noch entsprechende Vermittlungsportale im Internet. Nur sind dann häufig auch Mail-Brieffreundschaften gemeint.
Nicht nur der Inhalt, auch die „Verpackung“ sind bei einem echten Brief total individuell. Ich schreibe zum Beispiel immer mit blauem Kugelschreiber oder Füller. Ich finde blau einfach freundlicher als schwarz. Und ich schreibe gern auf richtigem Briefpapier oder auf Papier, das ich selbst gestalte. Was den Briefumschlag angeht, nutze ich am liebsten Umschläge aus recycelten Stadtplänen oder Seekarten. Vielleicht auch, weil es so gut zu der Idee passt, einen Menschen per Brief auf einen Spaziergang durch meine Gedanken oder eine ganz reale Reise mitzunehmen.
Wer Anregungen für Briefinhalte sucht, wird auch in der Literatur fündig: Es gibt zahlreiche veröffentlichte Briefwechsel. Es gibt Liebesbriefwechsel berühmter Menschen, unter anderem veröffentlicht in dem Buch „Schreiben Sie mir oder ich sterbe“. „Der Blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein Blaues Pferd“ heißt der Titel einer Briefsammlung zwischen der Literatin Else Lasker-Schüler und dem Maler Franz Marc, die ich als Jugendliche sehr gern gelesen habe, und vor ein paar Monaten habe ich ganz begeistert den Briefwechsel zwischen Astrid Lindgren und Louise Hartung gelesen. Ich finde: Briefwechsel sind viel spannender als jede Autobiographie!
Von Außen, also vom Briefumschlag her betrachtet, sollte ein Briefwechsel allerdings möglichst unspannend gestaltet sein. Haben wir früher noch eifrig auf den Umschlägen herumgemalt und gestempelt, haben grüne, blaue und rote Briefumschläge durch die Welt geschickt, gibt es heute klare Vorschriften. Nur die Vorderseite des Briefumschlags beschriften, oben links steht die Adresse des Absenders, unten rechts die Adresse des Empfängers angeben, oben rechts in der Ecke Briefmarken oder eine andere Art der Frankierung platzieren.
„Auf den Briefumschlag gehören keine Klebezettel oder Aufdrucke, die mit postalischen Labeln oder Aufdrucken verwechselt werden können“ heißt es zudem auf den Seiten der Deutschen Post (Link: https://www.deutschepost.de/de/b/briefumschlag-richtig-beschriften.html). Und weiter „Die Schrift sollte dunkel auf einfarbigem, hellem Untergrund stehen und keine Umrahmungen oder Hervorhebungen haben. Der Abstand der Anschrift muss vom linken, rechten und unteren Rand mind. 15 mm und vom oberen Rand mind. 40 mm betragen.“ Grund dafür ist, dass Briefe, Päckchen und Pakete längst maschinell eingelesen und sortiert werden. Jede Abweichung kann den Vorgang zum Stolpern bringen – und am Ende womöglich die Transportzeit unnötig verlängern.
Mein erster Schritt dahin, wieder mehr persönliche Briefe zu schreiben: Ich habe mir neues Briefpapier gekauft. Und ist ein Brief geschrieben und abgeschickt, beginnt der – zumindest für mich – schwierigste Teil: geduldiges Warten auf die Antwort. Angesichts des allgemeinen Bedürfnisses nach Entschleunigung könnte aus Briefeschreiben glatt ein neuer Trend werden…
Moin, mit Jahrgang 1972 bin ich die „Seniorin“ in der Neuen Etage und fühle mich in dieser besonderen WG pudelwohl. Geboren in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) habe ich mich schon während meines Zeitungsvolontariats in den Norden verliebt. Nach ein paar Umwegen über Köln, Bamberg, Bayreuth und Oldenburg (Nds.) bin ich 2014 samt Mann und Hund (wieder) in Schleswig-Holstein angekommen. Inzwischen leben wir in Harrislee, einer Gemeinde direkt an der dänischen Grenze und nur einen Katzensprung von Flensburg entfernt. Wenn ich nicht am Schreibtisch sitze, gehe ich am liebsten direkt vor der Haustür zu Fuß auf Entdeckungstouren oder powere mich im Kajak auf der Förde aus.
Herzlich willkommen in der Neuen Etage. Die Aussicht hier oben ist top, alles riecht noch ganz frisch und es gibt regelmäßig etwas Neues zu entdecken.