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Anziehende Heimat – Die Föhrer Tracht

  • 26. Mai 2019
  • Von Deichdeern
  • 1 Kommentare
Anziehende Heimat – Die Föhrer Tracht

Während sich andere Frauen in ihrem Alter bei Latte Macchiato oder zum Zumba im Fitnessstudio verabreden, verfolgt Julia Domeyer (35) ein etwas anderes Hobby: Sie ist Mitglied im Föhrer Trachtenverein. Genauer gesagt in dem von Oevenum und Midlum, denn die Nordseeinsel hat insgesamt vier dieser Vereine, die sich mit der Übermittleung kultureller Traditionen befassen. Die gebürtige Nordstranderin, die vor ein paar Jahren berufsbedingt nach Föhr zog, fühlt sich in der Gemeinschaft mit den anderen Trachtenfrauen pudelwohl. Ich habe mit ihr gesprochen, was dieses zeit- und kostenintensive Hobby ausmacht.

„Eine Tracht ist das Paradebeispiel für Fair Fashion. Kein Kleidungsstück überlebt so lange wie eine Tracht“, verrät Julia Domeyer im Interview. Foto: privat

Warum gerade der Trachtenverein?

Ich möchte von ihr wissen, warum sie sich gerade einen Trachtenverein ausgesucht hat, den sie mindestens einmal wöchentlich aufsucht. Julia lacht. „Die Arbeit unseres Vereins verkörpert für mich den Spagat zwischen Tradition und Zukunft.“ Sie führt den Satz weiter aus: „Durch das Tragen der Tracht beispielsweise – insbesondere zu offiziellen Anlässen – kann ich aktiv einen Teil dazu beitragen, dass Geschichte, aber auch Werte und Traditionen unserer schönen Kultur in die nächste Generation getragen werden.“ Es ist aber nicht nur die Kleidung allein. Nein, zu dem Trachtenverein gehören die friesische Sprache ebenso wie der Trachtentanz. – „Und sind die anderen nicht alle super alt?“, sprudelt es leicht neugierig-vorurteilend aus mir raus. Julia lacht schon wieder. „Nein, im Gegenteil! Das Gros unserer Truppe ist Mitte 30. Die jüngste ist im Konfirmandenalter, die älteste schon lange in Rente.“ Gerade das Miteinander mit Jung und Alt treibt Julia an und macht das Ganze für sie so abwechslungsreich.

Hier gesellt sich Alt ung Jung gemeinsam. Die Tracht wird meist von der Großmutter an die Enkelin vererbt. Foto: Museum Kunst der Westküste

Die Trachten werden, wenn es für die junge Generation gut läuft, von der Großmutter auf die Enkelin vererbt. „Ein großzügiges Erbe, denn bei so einer Tracht kommt schnell ein vierstelliger Betrag zusammen“, versichert mir Julia. „Es ist das Paradebeispiel für „Fair Fashion“, denn eine Tracht wird nicht weggeworfen und neugekauft. Sie wird vererbt. Es gibt keinen Einzelhandel für Trachten.“ Julia hat leider keine Tracht geerbt, sondern sich alles selbst zusammengesammelt und gespart. „Dafür musste ich mir erstmal nähen beibringen lassen, aber ich habe viel gezeigt bekommen und Unterstützung erfahren aus dem Verein. „Am wertvollsten sind der Silberschmuck und die edlen Stoffe, wie Seide oder feine Baumwolle“, ergänzt sie. Viele Föhrer Männer haben früher ihr Geld mit Walfang gemacht. Wenn sie von einer langen Reise wiederkamen, brachten sie ihren Frauen Schmuck und Stoffe mit. „Das älteste Schmuckstück bei uns im Verein ist eine Hakenkette von 1803. Ist das nicht toll?“, fragt sie mich. Ich nicke. Julias Begeisterung schwappt langsam auf mich über.

Zwei Stunden dauert das Anziehen der Tracht

Wenn Julia einen Auftritt hat, muss sie vorher rund zwei Stunden für das Anziehen der Kleidung kalkulieren. Diese besteht aus einem Pai, das ist ein ärmelloser Trägerrock, Ärmeln, Schürzen, Tüchern, einem Latz und dem gesamten Silberschmuck. Unterschieden wird noch zwischen Sonntags- und Festtagstracht. Die Sonntagstracht ist mit einer dunklen Schürze versehen und einem bestickten Tuch über kreuz getragen, die Festtagstracht mit weißer Schürze und all dem Silber. Über 200 Nadeln braucht Julia um alles so in Form zu stecken, dass es sitzt und passt. Beim stecken der Tücher braucht man aber die Hilfe einer anderen Frau, die das kann. Und dann stecken wir es so, dass es so bleiben kann. Irre! Nichts für spontane Menschen! Hinzu kommt noch der speziell geflochtene Zopf für den sich Julia extra ihre Haare hat wachsen lassen. Wenn ihr einen Überblick über die Einzelteile bekommen mögt, hier hab ich ein Video einer Föhrer Schneiderin gefunden.

Zweiter Kleiderschrank für die Tracht

Wie steht es eigentlich mit der Pflege der Kleidung und des Schmuckes? Julia gesteht, dass sie sich gerade einen zweiten Kleiderschrank gegönnt hat für ihre Tracht, weil es doch „viel Stoff“ ist. Der Silberschmuck wird im Seidenpapier eingewickelt in einer Keksdose eingewickelt. Den Tipp hat sie von einer Frau aus ihrem Verein bekommen. Einmal im Jahr gibt sie den Schmuck zur professionellen Reinigung zu einem Juwelier auf der Insel. „Es gibt ja Veranstaltungen, da soll die Festtagstracht besonders viel hermachen.“ – „Aha, und welche sind das?“, will ich wissen. „Im vergangenen Jahr durfte ich zum Tag der Deutschen Einheit nach Berlin reisen. Wir durften dort in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung auftreten. Eine Mischung aus Aufregung und großer Ehre zugleich“, verrät die Nordfriesin diesen privaten Meilenstein. Im Jahr hat Julia mit ihrer Gruppe viele Auftritte. Mal stehen „kleinere Veranstaltungen“ an, wie zum Beispiel das Spalier stehen bei Hochzeiten, mal tanzen sie bei den Heimatabenden. Es gibt aber auch Großveranstaltungen, wie dem Internationalen Museumstag vergangenes Wochenende im Museum Kunst der Westküste.

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Die Föhrer Festtagstracht gab es auch beim Internationalm Museumstag in Alkersum zu sehen. Hier etwas anders inszeniert auf einem Stand-up-Surfboard passend zur aktuellen Bäderausstellung. Foto: Museum Kunst der Westküste

Und was treibt dich an, Julia?

Durch die vielen Auftritte kommt Julia viel auf das Festland und trifft andere Menschen, die ihr Hobby teilen. So besucht sie zum Beispiel regelmäßig Veranstaltungen des Landestrachtenverbandes. „Für mich ist das Engagement im Trachtenverein auch ein Stück weit Horizont erweiternd“, versichert mir die braunhaarige Föhrerin, die beruflich als Verkäuferin im Lebensmitteleinzelhandel auf der Insel angestellt ist. „Klar, manche schmunzeln, wenn sie hören, dass ich im Trachtenverein bin, aber ich war schon immer ein Exot. Das passt zu mir und da kann ich sehr gut kontern“. Der Stolz und die Übertragung von Kulturgut sind ihr großer Antrieb. „Ich kann aktiv einen Beitrag dazu leisten, die Föhrer Traditionen in die nächste Generation zu tragen. Das treibt mich an.“ Und gibt es denn mal einen großen Traum? „Hach, heiraten in Tracht stünde schon ziemlich weit oben auf der Liste. Und ich würde die Tracht gern ins europische Ausland tragen. Das würde mich nochmal reizen“, bescheinigt mir Julia. Ich bin davon überzeugt, dass ihre Neugierde und ihr Antrieb sie noch weit über den Horizont Föhrs hinaus tragen werden.

Veranstaltungshinweis: 1.6. auf Amrum

Ihr seid jetzt neugierig geworden und wollt Julia und ihre Gruppe mal live sehen? Das könnt ihr zum Beispiel nächste Woche, am 1.6.2019, auf Amrum beim Trachtentreffen. Über 200 aktive Trachtenträger aus Schleswig-Holstein werden dann auf der Nachbarinsel erwartet. Hier gibt es mehr Informationen.

Eure Deichdeern
Julia

Deichdeern

Moin, ich bin Julia! Ich lebe mit meiner Familie im Herzen Nordfrieslands und schreibe seit 2015 als Deichdeern auf meinem gleichnamingen Blog über alles, was mein Landherz höher schlagen lässt. Ich mag den Blick über den eignen Tellerrand - pardon Deich - und nehme euch deshalb gern mit auf einen Entdeckungstörn durchs heimische Gewässer, unserem schönen Schleswig-Holstein. Mein Schreibstil und mein Charakter sind sich sehr ähnlich: Authentisch. Ehrlich. Norddeutsch geradeaus. Ohne viel Schnickschnack. Also, Leinen los!

1 Comment
  • Kerstin Christiansen
    28. Mai 2019

    Bitte noch die Beschriftung der Bilder ändern:
    Schultertuch, Ärmel, Pei von hinten
    blaue Sonntagsschürze, Nadeln im Schultertuch, weiße Festtagsschürze

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