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Egal, ob Baby oder Kleinkind: Die Welt ist ein gefährlicher Ort für winzige Menschen, die sich wahllos Dinge in den Mund stecken, auf jedes Hindernis klettern und null Respekt vor Treppen, Tieren, Pflanzen oder der Schwerkraft haben. Kinder sind eben geborene Gefahrensucher. Deshalb haben wir uns gedacht: Als Eltern sollten wir zumindest einen Plan haben, falls mal irgendetwas schiefgeht. Deshalb sind wir heute unterwegs zu einem halbtägigen Kurs „Erste Hilfe am Kind“.
Der findet im EHZK statt – dem Erste Hilfe Zentrum Kiel. Wir haben diesen Kurs ausgewählt, weil das EHZ in der Nähe unseres Wohnorts liegt, weil uns der Termin passte und weil man zum Kurs sein Kind mitnehmen darf. Das scheint nicht bei allen Anbietern so zu sein, wie eine andere Teilnehmerin in der Vorstellungsrunde erzählt.
Die Motivationen sind ähnlich: Jeder will vorbereitet sein, wenn der Nachwuchs in Gefahr gerät. Die meisten Teilnehmer sind Paare, dazu einige Solo-Mütter und zwei Großeltern, bei denen die Enkel öfter mal allein zu Besuch sind. Einige haben ihre Babys mitgebracht. Unser Moritz ist mit knapp einem Jahr der Älteste und als einziger unter einem Meter Körpergröße mobil. Der Kursraum ist hell und geräumig, in der Ecke steht eine Kaffeemaschine, es gibt Kekse und die Atmosphäre ist von Anfang an locker und erwartungsfroh. Man ist gespannt, was kommt.
Erstmal kommt Jan Fraatz. Der Kursleiter begrüßt uns herzlich und skizziert kurz, was uns heute erwartet, bevor wir mit einer praktischen Übung starten – und mit einem für Kleinkinder besonders gefährlichen Klassiker: dem verschluckten Fremdkörper. Anders als ich vermutet habe, werden in deutschen Haushalten relativ selten Spielzeugteile verschluckt, sondern in etwa 70 Prozent der Fälle Nüsse oder Kerne. Besonders tückisch, weil optimal groß, perfekt geformt und schön fettig-rutschig ist die Erdnuss.
Und genau die wird heute von einer kleinen Schaumstoffkugel simuliert, die in der Plastik-Luftröhre eines Baby-Dummys steckt. Wie wir im Laufe des Tages noch öfter hören werden, ist der erste elterliche Reflex auch hier die schlechteste Lösung. „Wenn es etwas verschluckt hat, nehmen viele Eltern ihr Kind auf den Arm und klopfen ihm auf den Rücken“, sagt Kursleiter Fraatz. Schlechte Idee. Denn das treibt einen Fremdkörper nur noch tiefer in Luftröhre oder Lunge.
Wir lernen, wie es besser geht. Erst durch Erklären, dann durch Vormachen und schließlich durch Selbermachen: Dazu darf jeder eine der Baby-Puppen mit dem Gesicht nach unten locker übers Knie legen und dann mit zwei bis drei entschlossenen Klopfern auf den Rücken die Schaumstoffkugel ins Freie befördern. Dabei korrigiert Kursleiter Fraatz hier und da den Griff und kommentiert die Klopfstärke. Wie die meisten beginnen auch wir eher zu zaghaft, entwickeln aber schnell ein Gefühl für die richtige Intensität.
Trotz Korrekturen kommt der Kursleiter nicht schulmeisterlich rüber, sondern angenehm unaufgeregt. Er erzählt locker und anschaulich von klassischen Unfall-Situationen und wie man mit ihnen umgeht, beantwortet Fragen der Teilnehmer ausführlich und sehr realitätsnah. Das heißt, es wird nicht stumpf aus einem Lehrbuch zitiert, sondern der Mann spricht aus eigener Erfahrung als Mediziner.
Darüber hinaus hat er zu jedem Thema nicht nur eine Anekdote und eine interessante Statistik parat, sondern räumt auch gleich noch mit ein paar fadenscheinigen Alltagsweisheiten auf. Zum Beispiel zum Thema Zecken: „Die fallen nicht von Bäumen, wie viele Menschen glauben“, sagt Fraatz, „sondern man streift sie von Gräsern oder Büschen ab.“ Außerdem sei das ganze Aufhebens, was um das richtige Entfernen von Zecken nach einem Biss gemacht werde, Quatsch: „Man braucht kein Öl und muss auch nicht in eine bestimmte Richtung drehen, sondern sollte das Tier so knapp wie möglich fassen und einfach gerade nach oben herausziehen.“ Am besten mit einer Zeckenzange oder einem ähnlichen Hilfsmittel.
Außerdem versteht es der Kursleiter, die Inhalte so zu vermitteln, dass sie auch hängenbleiben. Ich kann die erste Handlung bei jedem Vergiftungsverdacht jedenfalls immer noch im Schlaf aufsagen – egal, ob das Kind unbekannte Beeren gegessen, an Muttis Pillendose genascht oder Spülmittel getrunken hat. Erste Regel: Göttingen anrufen! Dort befindet sich das Giftinformationszentrum-Nord, das telefonisch rund um die Uhr erreichbar ist. Wer’s mal braucht: Die Nummer 0551-19240 sollte an keiner Familien-Pinwand fehlen. Diese Regel gilt natürlich nicht bei akuten Vergiftungserscheinungen: Dann ist sofort die 112 angesagt.
Insgesamt ist „Erste Hilfe am Kind“ ein Kurs mit einem guten Mix aus kurzen Filmen und Präsentation, Fragerunden und Mitmach-Elementen. Zum Abschluss geht’s zum Üben der Wiederbelebung noch an ein paar andere Baby-Dummys, die digital aufgerüstet sind. Tipp vom Kursleiter: „Beim Druck auf den Brustkorb ist der Rhythmus von Abbas ‚Waterloo’ perfekt.“ Dieser Song ertönt dann auch gleich aus der Soundanlage und wir pressen abwechselnd Baby-Brustkörbe, bis wir den richtigen Druck auf die richtige Stelle im richtigen Tempo hinkriegen – denn nur dann leuchtet das grüne Lämpchen auf dem Bauch des Babys und der nächste Kandidat ist dran.
Als wir uns nach einer Abschlussrunde und noch ein bisschen Smalltalk verabschiedet haben, haben wir eine Urkunde im Gepäck, ein schlafendes Kind auf dem Arm und ein ganz gutes Gefühl, im Fall der Fälle das Richtige tun zu können – obwohl der hoffentlich gar nicht erst eintritt.
Für Erste-Hilfe-Kurse am Kind gibt es in Schleswig Holstein natürlich auch noch andere Anbieter, zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz (DRK), den Arbeiter-Samariter-Bund (asb) oder das Notfalltrainingszentrum-SH (NTZ).
Ich bin Henning, studierter Anglist und freiberuflicher Texter. Ich lebe in Kiel, bin Ehemann von Anne, Vater von Moritz und Herrchen von Victor. Ich mag Listen, hasse Chaos und kann am besten entspannen, wenn das Meer rauscht, der Wind weht und die Leute nicht so viele Worte verschwenden.