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Zu Besuch in Flensburgs erster Demenz-WG

  • 30. Oktober 2019
  • Von Imke
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Zu Besuch in Flensburgs erster Demenz-WG

„Guten Tag!“ Ein ausgemacht freundlicher älterer Herr öffnet mir, kurz nachdem ich geklingelt habe. Mit einem fröhlichen Lächeln begrüßt er mich, hält mir die Tür auf, geht beschwingt vor – und schon stehe ich mitten in der WG. Mein erster Eindruck: Ist das schön hell hier! Ich fühle mich gleich wohl. Noch fehlen ein paar Möbel und Gardinen, aber die WG ist ja auch noch neu und so ist eben etwas mehr Platz zum Tanzen – das ist das große Hobby des Herrn, der mich so freundlich begrüßt hat. Er wohnt hier und ich bin zu Gast in Flensburgs erster Demenz WG.

Ich bin zu Besuch in Flensburgs erster Demenz-WG – und gleich mittenmang!

Am Tisch am Eingang sitzt Silke Ladwig. Die AWO-Mitarbeiterin spricht mit einem jüngeren Mann und einer älteren Dame: Eine neue WG-Mitglied und ihr Betreuer. Ladwig arbeitet seit 25 Jahren als Pflegefachkraft für die AWO. Als die Wohnungsbaugenossenschaft und die AWO im Zuge eines Hochhaus-Neubaus gemeinsam das Projekt „Flensburgs erste Demenz-WG“ angestoßen haben, hat sie sich entschieden, noch einmal etwas Neues zu machen. „Ich möchte dieses Projekt begleiten.“ Und ich wollte gern über dieses Projekt schreiben. Deswegen haben wir uns verabredet, und ich darf heute beim Vorbereiten des Mittagessens helfen.

Die offene Küche ist ein Treffpunkt in den großzügigen Gemeinschaftsräumen.

Ich begrüße zwei ältere Damen, die mit ihren Rollatoren Richtung Terrasse rollen. Automatisch suche ich nach Zeichen, die mir verraten, dass das hier keine „normale“ WG ist. Ich gucke mich um: Kernstück ist ein großer Raum mit Sofas aus den persönlichen Beständen der WG-Mitglieder an der Wand, einem Tisch, weiter hinten eine große offene Küche mit Blick auf eine Terrasse mit großen Hochbeeten aus Holz. Hinter einer raumteilenden großen Wand ist eine Fernsehecke eingerichtet – auch mit alten, einladend-gemütlich aussehenden Sofas. Von den großzügigen Gemeinschaftsräumen gehen die insgesamt zwölf kleinen Appartements ab.

An der Wand klebt gut sichtbar eine Tafelfolie mit dem aktuellen Wochentag und Datum – geschrieben von einem Mieter.

Aus dem Küchenradio kommt Musik, jemand räumt den Frühstückstisch ab. Darauf entdecke ich die erste Besonderheit: An einer Wand hängt eine große Tafel, auf der Wochentag und Datum stehen – eine Orientierungshilfe. Auch jedes Tischset ist individuell gestaltet – mit Fotos von je einem WG-Mitglied, dazu kleine Bilder und Informationen zu Hobbys, ehemaligem Beruf, Geburtsdatum, der Heimatstadt – Gesprächsanlässe, auch für mich. „Vielen ist es wichtig, immer am selben Platz zu sitzen“, erklärt Nicole Arf, eine weitere AWO-Mitarbeiterin. Alle Betreuungskräfte des ambulanten Pflegedienstes der AWO, die hier arbeiten, verstehen sich bewusst als „Gäste“: Sie bieten Unterstützung, wo sie benötigt wird und machen Strukturangebote für den Alltag, wenn das eigene Gefühl der Mieterinnen und Mieter für die Tagesstruktur durch die Krankheit eingeschränkt ist.

Jedes WG-Mitglied hat sein eigenes Tischset.

Um Pflegeleistungen, die darüber hinausgehen, müssen Angehörige oder Betreuer sich selbst kümmern, ebenso wie um die Ausstattung. „Das ist hier ja eine WG, keine klassische Pflegeeinrichtung“, betont Silke Ladwig. Auch die Mitarbeiterinnen mussten sich erst einmal umstellen, erzählt sie. In der Demenz-WG läuft vieles anders. Da wird gemeinsam entschieden, was am Mittag auf den Tisch kommt, und es wird gemeinsam gekocht. Das kann dann auch mal länger dauern, aber dafür macht man es gemeinsam.

Hier kochen alle mit!

Zusammen mit drei Mieterinnen sitze ich am großen Küchentisch und schneide Gemüse für die Hühnersuppe. Wir unterhalten uns. Gut, manchmal stellt jemand mehrfach dieselbe Frage oder wiederholt etwas, aber das stört nicht. Die Stimmung ist sehr familiär. Auch die neue Mieterin kommt einfach dazu. Sie hört sehr schwer. Die anderen machen sich Sorgen, aber irgendwie verständigen wir uns schon. Die Bananen für den Nachtisch schneiden wir auch, während Kirsten Lenz (AWO) bereits den Topf mit der Suppe aufsetzt.

Terrassenplausch nach getaner Arbeit.

Nach getaner Arbeit gehen wir kurz auf die Terrasse, schnacken, lachen uns an – und ich habe mich schon für einen weiteren Besuch angemeldet. Ich komme spätestens im Dezember zum Plätzchenbacken wieder – und vielleicht für ein Tänzchen mit dem freundlichen älteren Herrn, der mir die Tür geöffnet hat. Ob er sich an mich erinnern wird? Wahrscheinlich nicht. Aber die Tanzbewegungen, die hat er noch drauf.
Ansprechpartner für Interessierte: Hanna Paulsen, SBV-Projektmanagement, Tel.: 0461 31560-361, hpaulsen@sbv-flensburg.de/Jürgen Stickel, Leiter ambulante Pflegedienste AWO Flensburg, Tel.: 0461 14415-44

Imke

Moin, mit Jahrgang 1972 bin ich die „Seniorin“ in der Neuen Etage und fühle mich in dieser besonderen WG pudelwohl. Geboren in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) habe ich mich schon während meines Zeitungsvolontariats in den Norden verliebt. Nach ein paar Umwegen über Köln, Bamberg, Bayreuth und Oldenburg (Nds.) bin ich 2014 samt Mann und Hund (wieder) in Schleswig-Holstein angekommen. Inzwischen leben wir in Harrislee, einer Gemeinde direkt an der dänischen Grenze und nur einen Katzensprung von Flensburg entfernt. Wenn ich nicht am Schreibtisch sitze, gehe ich am liebsten direkt vor der Haustür zu Fuß auf Entdeckungstouren oder powere mich im Kajak auf der Förde aus.

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